Essen ist politisch

Die Polizeiwagen sind schon lange zu sehen. Aber Blaulicht im Berliner Regierungsviertel ist keine Seltenheit. Eine scheinbar nicht enden wollende Treckerkolonne dann aber schon. 150 Bäuerinnen und Bauern waren mit ihren Traktoren nach Berlin gekommen, um bei der Wir-haben-es-satt-Demo ihr Interesse an einer anderen Agrarpolitik deutlich zu machen. In Bayern, Hessen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Brandenburg, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern hatten sie sich zum Teil schon Tage vorher auf den Weg gemacht, um ihren Protest gegen die agrarindustrielle Landwirtschaft vor die Tore der Grünen Woche und ins Blickfeld der zukünftigen Bundesregierung zu tragen. Auf dem Washingtonplatz vor dem Hauptbahnhof treffen die ersten Menschen ein. Polizisten kontrollieren Bannersprüche. Kirsten Wosnitza, Milchbäuerin aus Schleswig-Holstein und BDM-Mitglied wird hier in wenigen Stunden reden. Sie wird nicht nur jubeln, sondern mutig ihre Schwierigkeiten mit so manchen Forderungen benennen: „Als konventionelle Milchbäuerin teile ich natürlich nicht alle Ansichten der NGOs. Ich glaube, das erwartet auch keiner. Ich habe auch einen anderen Blick auf Pflanzenschutz als viele Naturschutzverbände und ich habe auch eine andere Einstellung zur Tierhaltung als Veganer.“ Vor allem aber wird sie einen Dialog einfordern. „Aber so ist das in einer Gesellschaft. Da kann ich mir die anderen Meinungen doch nicht einfach wegwünschen.“ Noch aber ist der Platz leer. Die Trecker rollen gerade hinter dem Hauptbahnhof Richtung Wirtschaftsministerium. Hier, wo an diesem Tag die 10. internationale Agrarministerkonferenz stattfindet, parken die Schlepper dreireihig gegenüber dem Haupteingang. „Wir sind nicht gekommen, um die Konferenz zu stören!“, macht Georg Janßen gleich zu Beginn seiner Rede deutlich. Im Vorfeld der Demo war von Seiten des Landwirtschaftsministeriums befürchtet worden, es könne zu Krawallen kommen. Offensichtlich hätte man es gerne gesehen, wenn die Demonstration nicht hier, am „Tagungsort“, vorbeigezogen wäre. „Wir leben in einem Land, in dem wir uns versammeln und unsere Meinung kundtun dürfen. Das ist ein hohes Gut. In anderen Ländern werden Menschen dafür eingesperrt, verfolgt und sogar getötet“, so Janßen weiter und er fordert ein klares Bekenntnis der internationalen Agrarministerkonferenz zur universellen Gültigkeit der Menschenrechte. Beim Blick in die Gruppe der von ihren Traktoren abgestiegenen Bäuerinnen und Bauern fallen schnell die vielen jungen Menschen auf. „Sie alle kämpfen für eine – für ihre – Zukunft auf dem Land“, sagt Janßen und wendet sich gegen das immer weiter voranschreitende Landgrabbing durch landwirtschaftsferne Investoren. 33.000 Menschen Während die Trecker weiter zum Washingtonplatz fahren, füllt sich dieser mit Menschen, die für eine andere Agrarpolitik, eine andere Landwirtschaft demonstrieren wollen. Am Ende werden 33.000 Menschen dem Aufruf des aus über 100 Verbänden und Organisationen bestehenden Wir-haben-es-satt-Bündnisses gefolgt sein. Bunt, vielfältig und friedlich ziehen Zehntausende durch die Straßen Berlins. Erneut am Wirtschaftsministerium und am Kanzleramt vorbei zum Brandenburger Tor. Auf der Bühne, während der Abschlusskundgebung, kommen viele Rednerinnen und Redner zu Wort. Der Bürgermeister aus Mals berichtet vom Pestizidverbot in seiner Gemeinde, der Vertreter der Wasserwerke fordert ein Ende des Gülletourismus. Alle wenden sich gegen die Agrarindustrie. Die Zerstörung des Regenwaldes für den Anbau von gentechnisch veränderter Soja wird ebenso angesprochen wie Dumpingexporte von Milchpulver nach Afrika, Landgrabbing, das Insektensterben, verlorene Biodiversität und das Tierwohl. „Schweine auf's Stroh, Rinder ins Freiland und Hühner mit Auslauf!“, fordert Mitorganisator Jochen Fritz. Geballte Ladung Ein locker formulierter Wunschzettel, könnte man meinen. Doch immer mehr Forderungen zu einem Umbau der Landwirtschaft finden Gehör, werden durch wissenschaftliche Gutachten gestützt. Immer deutlicher wird, auch durch die inzwischen seit acht Jahren stattfindende Demo, dass es einen gesellschaftlichen Konsens zum Umbau der Landwirtschaft gibt und dieser auf die politische Agenda gerückt ist. Für viele konventionelle Bäuerinnen und Bauern kann das durchaus bedrohlich wirken. Da werden scheinbar plötzlich zahllose Anforderungen an sie gestellt, Anforderungen von zum Teil erheblichen finanziellen Dimensionen, wenn man an den Umbau von Ställen denkt. Mindestens ebenso groß aber sind die Anforderungen an eine Änderung des eigenen Lebensmodells. Ökonomische Vorgaben, Rationalisierung und Effizienzsteigerung spielen bei unternehmerischen Entscheidungen immer eine bedeutende Rolle. Die Landwirte aber als von der Wirtschaft Getriebene zu bezeichnen, die nicht hinter ihren Betriebsmodellen stehen, ist sicherlich falsch. Immer größere Ställe, chemischer Pflanzenschutz, der Bauer als Unternehmer, das ist Teil des Selbstverständnisses. Gemeinsam verändern Eine Spannung, die auch Kirsten Wosnitza ausdrückte und die so mancher Treckerfahrer spürte. Eine Kluft aber vor allem zwischen den Demonstranten in Berlin und vielen konventionellen Landwirten überall in Deutschland. Dass es den Organisatoren nicht um Verurteilung, Anprangern und Im-Stich-Lassen geht, sondern um einen gemeinsamen Systemwechsel, machte Jochen Fritz in seinem Statement deutlich: „Ich glaube, dass diese Demonstration ihnen [den konventionellen Landwirten] Kraft und Mut geben soll; dass die Bevölkerung und die Gesellschaft bereit ist, einen Weg mit ihnen zu gehen, mit artgerechter Tierhaltung und weniger Pestiziden. Wir verlieren so viele Höfe und haben auf der anderen Seite das Artensterben. Da müssen alle raus aus ihren Wagenburgen und miteinander reden!“
13.02.2018
Von: mn

30.000 MEschen und 150 Trecker in Berlin