Viel mehr als ein Vertrag

Persönliche Schritte für die innerfamiliäre Hofübernahme auf einem Seminar für Hofnachfolgende

„Und willst du den Hof mal übernehmen?“, ist eine Frage, die ich schon sehr häufig in meinem Leben beantwortet habe. Wenn ich erzähle, dass ich Landwirtin bin und vom Hof komme, interessiert viele Menschen, wie es mit dem Hof weitergeht. Auch wenn ich im Laufe der Zeit ganz unterschiedliche Antworten darauf hatte, so haben mich meine Gedanken dazu stets tief bewegt. Die Hofübergabe ist also weit mehr als die Unterzeichnung des Hofübergabevertrags. Aber was ist dieses „Mehr“? Können wir es benennen? Wie packen wir es an? Macht dieses „Mehr“ nur Bauchschmerzen, Streit und Tränen? Oder können wir es womöglich nutzen für uns und den Hof? Hofnachfolgende erarbeiten Visionen Am letzten Novemberwochenende haben wir, zwölf potentielle Hofübernehmer:innen, uns in Osnabrück auf dem Rumlerhof getroffen und das Thema innerfamiliäre Hofübernahme von vielen Seiten beleuchtet. Wir haben daran gearbeitet und uns gegenseitig beraten, uns selbst gefragt, was wir wollen. Ziel dieses Seminars war, die eigene Zukunftsversion zu entwickeln. Ein starkes Ziel, für das wir drei Tage intensiv arbeiteten. Ein tiefer Einstieg war die persönliche Selbstklärung. Was sind meine Werte? In welchen Phasen in meinem Leben konnte ich sie ausleben? Uns wurde klar, welche Voraussetzungen wir im Privaten und Beruflichen brauchen, um gut leben zu können, um unseren Werten Raum zu geben. Ein erster wichtiger Baustein war griffiger. Das „Mehr“ ist auch die Verwirklichung unserer eigenen Vorstellungen. Das innere Team anhören Viele von uns konnten bei der Frage „Möchte ich überhaupt den Hof übernehmen?“ Zweifel und Wünsche der anderen teilen. Eine anspruchsvolle Frage, bei der viele Facetten unserer Persönlichkeiten laut werden. Eine Frage, die uns viel Zeit kostet und bei der wir an manchen Stellen nicht weiterkommen. Eine Frage, der wir aber nicht ausweichen können. Bei solch komplexen Entscheidungen hilft die Aufstellung des inneren Teams. Wir alle tragen ein inneres Team in uns. Die einzelnen Stimmen der Teammitglieder hören wir oftmals wirr durcheinander. Hilfreich ist, die Teammitglieder zu benennen und jede einzelne Stimme zu hören. Was sagt sie? Ist sie laut oder leise? Schweigt sie? Was ist ihr typischer Satz? Bei der Entscheidung, ob ich innerfamiliär den Hof übernehmen möchte, können viele Stimmen in mir zu Wort kommen: die Bäuerin, die sich freut, die eigenen Vorstellungen in der Landwirtschaft umzusetzen; die Zweiflerin, die sich fragt, ob sie die nötigen Fähigkeiten dazu hätte; die Freiheitliche, die sich nicht an einen festen Ort binden möchte; die Ehrfürchtige, die das Lebenswerk des Vaters bewundert; die Traditionsbewusste, die Ungeduldige, die Zuversichtliche und viele andere. Die Methode, das innere Team aufzustellen und anzuhören, kann uns bei vielen Entscheidungen helfen. Wir müssen uns Zeit und Ruhe nehmen, um alle Stimmen zu hören und um nicht nur die starken und schönen, sondern auch die unangenehmen, die neidischen und die hässlichen Stimmen zu Wort kommen zu lassen. Dieses innere Team kann nun am runden Tisch über unsere Frage verhandeln. Wir können es uns wie ein reales Team vorstellen: Die einzelne Stimme kämpft für ihre Sache und ist gleichzeitig bereit, Kompromisse zu finden und Koalitionen einzugehen. Jeder Stimme wird Redezeit eingeräumt, sie wird nicht unterdrückt oder überhört. Das Team kommt zu einer gemeinsamen Lösung. Dabei können wie im realen Team nicht alle Sorgen aufgelöst, nicht alle Bedürfnisse und Wünsche erfüllt werden. Doch die Parteien können einen tragbaren Kompromiss finden. Uns selbst nutzt die Aussprache des inneren Teams nicht nur als Entscheidungshilfe, sondern sie verschafft auch Ruhe und Klarheit, da alle Stimmen angehört wurden. Mit etwas Übung kommen wir zu Lösungen, die wir tragen können und wollen. Aus Individuum, Familie und Betrieb entsteht eine Vision Neben Handwerkszeug, um mit persönlichen Herausforderungen umzugehen, lernten wir die Besonderheiten von Familienunternehmen kennen. Auseinandersetzungen in der Familie sind ein wichtiges „Mehr“ im Übergabeprozess. Wir sprachen über Generationenkonflikte, über paradoxe Gerechtigkeiten in Familie und Betrieb und über Erwartungen. Wir fragten uns, wie unsere Eltern, Großeltern und Geschwister zur Hofübernahme stehen. Was sind wohl ihre Wünsche und Sorgen? Was macht ihnen Angst? Wo haben sie Hoffnung und Mut? Aus den verschiedenen Bausteinen konnten wir uns am letzten Seminartag unseren ganz persönlichen Fahrplan der Übernahme erstellen. Dazu entwickelten wir zuerst eine Zukunftsvision und malten uns aus, wie unser Leben in fünf Jahren aussehen würde. Bunte Bilder und starke, zukunftsweisende Visionen entstanden. Anschließend beschrieben wir die einzelnen Schritte, um zu dieser Vision zu gelangen. Viele Teilnehmenden konnten in der Abschlussrunde von ihrem unmittelbar nächsten Schritt berichten. Bestärkt, visionär und mutig beendeten wir das Seminar auf dem Rumlerhof. Wie wird es mit uns weitergehen? Wie können wir unseren Mut und unsere Ideen auf die Höfe tragen? Wie können wir gemeinsam mit unseren Familien gute Wege gehen? Manches ist noch unsicher. Sicher ist, dass wir das „Mehr“ für uns nutzen können und dass wir unsere Visionen, unsere Werte und unsere Zuversicht auf unseren Höfen leben können. Wir übernehmen Höfe. Wir gestalten die Welt.
02.01.2018
Von: Elisabeth Fresen, Hofübernehmerin aus Niedersachsen

Alle wollengehört werden. Foto: Fresen