Freie Fahrt für gemeinzugängliches Saatgut

Erste Open-Source-Tomatensorte in Berlin vorgestellt

Wo weltweit Hybridsaatgut und die Fusion großer Saatgutunternehmen auf dem Vormarsch sind, könnte eine kleine gelbe Freilandtomate als erste Open-Source-lizensierte Sorte (OSS) der zunehmenden Privatisierung von Saatgut Paroli bieten. Seit mehreren Jahren forscht eine Arbeitsgruppe des gemeinnützigen Vereins AGRECOL e. V. (Verein zur Förderung standortgerechter Landnutzung), bestehend aus Pflanzenzüchtern, Agrarwissenschaftlern und Juristen, an einer Lizenz, die Saatgut vor Patentierung und Privatisierung schützen soll. Die neue Saatgutlizenz räumt dem Nutzer unentgeltlich ein einfaches Nutzungsrecht ein: Man darf das Saatgut benutzen, vermehren, weitergeben, züchterisch bearbeiten und es weiterverbreiten. Jede darüber hinausgehende Beschränkung (z. B. Privatisierung und Sortenschutz) sind nicht erlaubt – das gilt für den Lizenznehmer und für jeden, an den er das Saatgut weitergibt. Nachbaugebühren fallen bei OSS-Saatgut für den Landwirt ebenfalls nicht mehr an. Lizenzverletzungen könnten mit Hilfe von Genkartierung nachgewiesen und dann strafrechtlich verfolgt werden. Es sei daher zu heikel für große Firmen, Genmaterial des OSS-Saatgutes in ihre Züchtungen einzuschleusen, meint Johannes Kotschi von der Initiative. Die erste OSS-lizensierte Tomatensorte in Deutschland stammt von der Göttinger Saatgutvermehrung Culinaris und ist für den Amateurbereich und die Direktvermarktung geeignet. Sie wurde nun auf einer Veranstaltung in Berlin vorgestellt. Der bereits lizensierte Sommerweizen „Convento C“ stammt aus der Getreidezüchtung des Dottenfelder Hofs von Hartmut Spieß. Die Initiative möchte weitere Sorten, darunter eine Kartoffelsorte, alsbald lizensieren lassen. Auch andere Pflanzenzüchter kündigten Interesse an. „Seit 30 Jahren ist der Züchterfortschritt für die Allgemeinheit nicht mehr zugänglich“, klagt der Agrarforscher Bernd Horneburg der Uni Göttingen. Das Bundessortenamt gibt nämlich einmal jährlich alle nicht mehr zugelassenen Sorten an die Genbank des IPK Gatersleben weiter – nicht mit dabei sind jedoch Hybrid- und Inzuchtlinien und damit der größte Teil der Neuzüchtungen der letzten Jahrzehnte. Alle beteiligen Wie genau der Mehraufwand zur Einhaltung der Lizenz gewährleistet werden soll, wissen die Initiatoren jedoch leider noch nicht genau. Klar ist, dass vielfältige Finanzierungswege gegangen werden müssen. Es sollten „alle entlang der Produktionskette mehr beteiligt werden“, sagt Kotschi. Vor allem aber sollte der Staat mehr in die Pflicht genommen werden. Eine Möglichkeit wäre, einen „Züchtungscent“ oder „Sortenentwicklungsbeiträge“ zu verlangen, wie es Pflanzenzüchter in Deutschland und Südeuropa bereits tun, schreibt die OSS-Initiative auf ihrer Internetseite. In den USA gibt es bereits die Saatgutinitiative OSSI (Open Source Seed Initiative). Im Gegensatz zu OpenSourceSeeds verfolgt sie einen ethischen Ansatz. Die Lizenz gilt allerdings nur für den Lizenznehmer; es ist nicht rechtlich verankert, dass sich der darauffolgende Besitzer ebenfalls an die Regeln halten muss. Wichtig sind jetzt das Weitertragen der Idee, eine breite zivilgesellschaftliche Öffentlichkeit und vor allem die Unterstützung aller ErhalterInnen alter und kleiner Sorten durch Kleinbauern, Saatgutinitiativen und NGOs. Auf der Veranstaltung in Berlin meldete sich zum Schluss noch der Verbandschef der deutschen Berufsimker zu Wort: Er hat die Open-Source-Saatgutlizenz als eine Vorlage für eine entsprechende Lizenz zum Schutz der Bienen herangezogen. Bald werden die ersten Bienenköniginnen mit einer Genkarte ausgestattet sein.
31.05.2017
Von: Julia Datzko, Studentin Ökologische Landwirtschaft in Witzenhausen