Landwirtschaft in der Türkei: Die Gesellschaft muss ran

Die türkische bäuerliche Bewegung hat bei ihrer Selbsthilfe mit Widerstand zu kämpfen

Die Landwirtschaft der Türkei ist von einer großen Vielfalt geprägt: Von mediterranen Regionen mit Oliven- und Zitrusplantagen bis hin zu Weidewirtschaft in Hochgebirgsregionen sind im Land zwischen Europa und Asien fast alle Arten der Landwirtschaft zu finden. Neben der reichen bäuerlichen Kultur und einer Vielzahl von regionalen Besonderheiten in Produktion und Verarbeitung ist die Türkei Heimat bedeutender Nutzpflanzen. Insbesondere Getreide hat seinen evolutionären Ursprung nahe der Türkei. Über das Land verteilt findet sich eine Vielfalt an verschiedenen Getreidesorten, die auf kleinen, bäuerlich bewirtschafteten Betrieben bewahrt werden. Diese Vielfalt ist allerdings nicht selbstverständlich – wie überall in Europa hängt sie von engagierten BäuerInnen und KonsumentInnen ab, die den Wert der bäuerlichen Landwirtschaft kennen und dafür eintreten. In Zeiten politischer und wirtschaftlicher Umwälzungen ist dieses Engagement wichtiger denn je zuvor. Staatsfeind bäuerliche Selbsthilfe In der Region Aegen an der Küste treffe ich Adnan Çobanoğlu, Bauer und Mitglied des Vorstandes der „türkischen AbL“, Çiftçi-Sen. Er bewirtschaftet einige Hektar mit Speisewein. Sein Bericht über Çiftçi-Sen ähnelt eher einem Justizkrimi als der Geschichte einer Bauernbewegung. Anfang der zweitausender Jahre initiierten engagierte Bäuerinnen und Bauern die von staatlichen Organisationen unabhängige Bauernvertretung. Historisch ist die türkische Landwirtschaft von staatlichen Kooperationen für bestimmte Produkte geprägt gewesen, in denen Bauern mitentscheiden konnten. Diese wurden ab den siebziger Jahren zunehmend privatisiert und die Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse sanken damit einhergehend rapide. In Çiftçi-Sen wollte man sich für eine bessere Verhandlungsposition gegenüber dem Agrarhandel zusammenschließen und auch politisch Einfluss nehmen. Dies scheiterte am Veto des Staates – dieser erklärte unabhängige Bauernvertretungen schlicht für illegal. Mehrere Jahre vor verschiedenen Gerichten führten letztendlich zur – eingeschränkten – Zulassung von Çiftçi-Sen. Heute haben sie geschätzt 4.000 Mitglieder. Politik gegen die Tradition Dass es Çiftçi-Sen nun offiziell gibt, ist wichtiger denn je. Denn staatliche Maßnahmen der sonst so traditionsbewussten Regierung der AKP fördern alles andere als bäuerlich-regionale Landwirtschaft. In vielen Regionen fallen Felder dem Bau-Boom – das Rückgrat der türkischen Wirtschaft – zum Opfer. Energieprojekte und Autobahnen versiegeln die landwirtschaftliche Grundlage Boden. Parallel dazu soll die Produktion gesteigert werden. „Wir haben ein unglaublich großes kulturelles Erbe an verschiedenen Kulturpflanzen. Doch der neuen Strategie der Regierung stehen diese im Weg. Neues Saatgut muss es sein, von Saatgutunternehmen“, sagt Adnan und schüttelt den Kopf. In Sachen Nachbaugesetzgebung will das türkische Agrarministerium noch einen Schritt weiter gehen als Deutschland, mit der Einführung eines absoluten Verbots des Nachbaus. „Wer die Quittung für das gekaufte Z-Saatgut nicht vorzeigen kann, bekommt keine staatlichen Subventionen. Und diese wären immerhin 50 Prozent der Kosten für Diesel, also für Bauern nicht unrelevant.“ Die Gesellschaft muss ran Viel Gehör findet man auf politischer Seite für die bäuerlichen Belange nicht. Die vielen Jahre vor Gericht haben Çiftçi-Sen Kraft gekostet, die eigentlich zum Aufbau der Organisation nötig gewesen wäre. Aber es finden sich Orte der Hoffnung. Ich sitze zusammen mit Burak Soykan, dem Mitbegründer der Bäckerei Eppek, in einem Café in Istanbul. Viel Zeit hat er nicht, der neue Laden befindet sich gerade im Aufbau. Burak hat gemeinsam mit Freunden eine Bäckerei in Istanbul aufgebaut, die Brot aus traditionellen türkischen Getreidesorten bäckt. Das Getreide kaufen sie direkt bei den Bauern und lassen es im Dorf mahlen, bevor es nach Istanbul kommt. Burak kennt alle Bauern persönlich. „Ein Müller hat extra für uns wieder angefangen zu arbeiten. Er hatte nicht gedacht, dass jemals wieder jemand lokal Getreide mahlen möchte.“ Sein Projekt ist noch klein – doch zusammen mit anderen Projekten in Istanbul sind es Ausgangspunkte für den Zusammenhalt von Bäuerinnen, Bauern und KonsumentInnen für den Fortbestand bäuerlicher Landwirtschaft. Burak selber möchte nicht immer in Istanbul bleiben. Nach seinem Politikstudium hat er auf dem Hof einer Vorsitzenden von Çiftçi-Sen eine Ausbildung gemacht und will seine Bäckerei in wenigen Jahren abgeben, um mit seiner Frau gemeinsam selber Getreide zu erzeugen. Er habe Hoffnung für die türkische Landwirtschaft: „Wir sind noch nicht viele Engagierte, aber wir werden immer mehr. Der Rückhalt und die Unterstützung, die wir beim Aufbau unseres Projekts erfahren haben, stimmen mich hoffnungsvoll. Auch wenn die Politik uns ein paar Steine in den Weg legt.“
04.04.2017
Von: Sebastian Kußmann, junge AbL

Selbsthilfe türkischer Bauern auf der Straße