Viele Säcke Salz

Junges Gemüse trifft Ulrike Hasenmaier-Reimer auf ihrem Hof in Reippersberg

Viele Dinge brauchen Zeit, um sich zu festigen und nachhaltig zu wirken. Manche Dinge entfalten aber auch schon in kurzer Zeit ihre volle Wirkung. Eine nachhaltige Wirkung hatte das Praktikum, welches ich vor drei Jahren auf dem Bioland-Hof Hasenmaier-Reimer machen durfte. Ein Monat in der Lammzeit bei der „Alten Häsin” Ulrike hat ausgereicht, um mein Verständnis für Landwirtschaft nachhaltig zu verändern. Über die Gelegenheit, drei Jahre später als „Junges Gemüse” auf den Hof zurückzukehren und mich mit Ulrike zu unterhalten, habe ich mich deshalb sehr gefreut. Für mich als „Junges Gemüse” war das kurze Praktikum bei Ulrike der beste organische Dünger. Auf ihrem Hof konnte ich erleben, wie artgerechte Tierhaltung in der Praxis gelebt werden kann, welche Aufmerksamkeit man seinem Betrieb und der Umwelt entgegenbringen muss, wie die Politik die Landwirtschaft prägt und wie wir als bäuerliche Landwirtschaft die Politik verändern müssen. Auf dem Hof in Reippersberg konnte ich mir zum ersten Mal vorstellen, später auf einem Hof zu arbeiten und erleben, was „bäuerliche Solidargemeinschaft” bedeutet: das Miteinander mit Bäuerinnen und Bauern bei gemeinsamen Hofbesuchen, bei AbL-Veranstaltungen und beim gemeinsamen Arbeiten und Essen. Zum Kochen haben Ulrike und Wolfgang in jedem Fall schon viele Säcke Salz verbraucht. Der Anfang Die Geschichte des Hofes von Ulrike Hasenmaier-Reimer und Wolfgang Reimer begann 1981 ohne Hof. Das junge Paar lernte sich während der Ausbildung kennen und für beide war ein gemeinsamer Hof erklärtes Ziel. Das Projekt Hof war von Anfang an Leben, Landwirtschaft und Politik in einem. Obwohl Ulrike familiär keinen landwirtschaftlichen Hintergrund hatte, entschied sie sich für eine landwirtschaftliche Lehre, damals als einzige Frau in ihrer Berufsschulklasse. Wolfgang arbeitete bereits während seiner Ausbildung für die Unabhängige Bauernstimme (damals noch Bauernblatt) und als Paar waren beide maßgeblich an der Gründung der AbL beteiligt. Das heute heiß diskutierte Thema der außerfamiliären Hofübergabe war damals quasi unbekannt. Trotzdem begannen Wolfgang und Ulrike die Suche nach einer Hofstelle, auf der sie ihre Vorstellungen von bäuerlicher Landwirtschaft verwirklichen konnten. Gefunden haben sie einen Hof in Reippersberg nahe Schwäbisch Hall, den sie von den Vorbesitzern übernahmen. Der Empfang im Dorf war freundlich, ein Nachbar allerdings war der Meinung: „Ihr esst hier keinen Sack Salz”, erzählt Ulrike, hier bedeutet das: „Lang werdet ihr hier nicht bleiben.” Der Hof Mit der Übernahme begann ein konstanter Prozess der Neugestaltung des ursprünglich 38 Hektar großen Betriebes mit Acker, Dauergrünland und Wald. Vielfältig sollte der neue Betrieb sein und das verwirklichen, was heute als Ernährungssouveränität bezeichnet wird – die Produktion guter, regionaler Lebens- und Futtermittel, die Tiere und Menschen vor Ort ernähren. Der Betrieb wurde nach den Bioland-Richtlinien umgestellt und die Produktion diversifiziert. Neben einer Mutterkuhherde wurde der Betrieb um Hühner, Puten, Schafe, Feld- und Feingemüse, Kartoffeln und Getreide ergänzt. Parallel zur vielfältigen Produktion gingen Wolfgang und Ulrike in die Städte der Umgebung, um die Menschen vor Ort über nachhaltige regionale Nahrungsmittelerzeugung aufzuklären und ein Netzwerk für ihre Produkte aufzubauen. „Unsere Arbeit auf dem Hof war auch immer politisch – wir wollten über die Arbeit auf unserem Hof ein Zeichen setzen für bäuerliche Landwirtschaft und regionale Kreisläufe.” Gleich zu Beginn wurde ein Hofladen aufgebaut, wurden Erzeuger-Verbrauchergemeinschaften gegründet, später ein Großteil der Lebensmittel in Form eines damals wenig verbreiteten Abosystems auch direkt zu den Haushalten gebracht. „Neben einem alten Demeterbetrieb waren wir damals der erste Biobetrieb in der Region.” Andere Höfe sollten folgen, denen der Hof von Wolfgang und Ulrike Vorbild für Hofübernahme und Vermarktungskonzepte war. Bäuerliche Agrarpolitik Um ihre Ideale nicht nur auf dem Hof zu verwirklichen, engagierten sich Ulrike und Wolfgang aktiv in der AbL – Ulrike in den 90igern als Mitglied des Bundesvorstandes und im Landesvorstand der AbL Baden-Württemberg. „Mir und Wolfgang war immer klar, dass ein Wechsel vom Wachstumswahn hin zur bäuerlichen Produktion auf dem Hof und in der Politik geschehen muss. Die politische Arbeit hat für uns einfach dazugehört.“ Zu Beginn der 90er Jahre gründete Ulrike für die AbL gemeinsam mit dem Landfrauenverband Württemberg-Baden und dem evangelischen Bauernwerk die Bäuerinnen-Kampagne, die für die rechtliche Gleichstellung der Bäuerinnen kämpfte. „Heute kann man sich kaum mehr vorstellen, wie wenig Rechte frau damals als Bäuerin hatte.” Mit dem Regierungswechsel in Berlin 2001 entschied sich Wolfgang vollständig für die politische Arbeit und ging als Wochenendpendler ins Landwirtschaftsministerium nach Bonn. „Den Hof mussten wir natürlich daran anpassen, im alten Pensum konnte ich so allein nicht weiterarbeiten”, erzählt Ulrike. Die Umstellung erfolgte Stück für Stück, anstelle der Mutterkuhherde trat eine Juraschafherde und der Gemüseanbau wurde aufgegeben. Trotzdem bot der Hof noch viel Platz für Experimente, z. B. im Versuchsanbau von Futter-Chicorée und in der Perfektion von Ulrikes Arbeit mit ihren Border Collies. „Ohne die Collies könnte ich so nicht arbeiten – sie unterstützen mich in der täglichen Arbeit mit den Schafen sehr.” Wie geht es weiter? Ihren Idealen sind Ulrike und Wolfgang bis heute treu geblieben – auch wenn sich Ulrike angesichts der Entwicklungen in der Landwirtschaft die Frage stellt, wie viel sie tatsächlich erreichen konnten. Persönlich beschäftigt sie aktuell die Frage der Hofübergabe. „Ich würde den Hof gern weitergeben. Auch wenn er klein ist, bietet er Potentiale für junge Leute, sich in der Region und in der Landwirtschaft zu verwirklichen.” Und nach einer Übergabe? „Dann müsste ich hier vermutlich weichen”, sagt Ulrike und lacht. „Nachfolgern muss man Freiraum lassen und ich bin zu sehr mit dem Hof verbunden, um mich nicht einzumischen.” Einmischen würde sich Ulrike aber an anderer Stelle: „Ich kann mir durchaus vorstellen, mit meinen Erfahrungen wieder mehr in der AbL oder anderen NGOs mitzuwirken. Derzeit bekomme ich es zeitlich nicht hin, aber später gibt es dafür vielleicht wieder Zeit und Kraft.”
28.06.2016
Von: Sebastian Kußmann, junge AbL

Ulrike Hasenmaier-Reimer